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Living in democracy - forever!? Readers Corner 2021

Im Rahmen der Langen Nacht der Demokratie beteiligten sich Akademie Frankenwarte, Jugendbildungsstätte Unterfranken und Würzburger Bündnis für Demokratie und Zivilcourage mit einer besonderen Abendveranstaltung. Ein Rückblick.

Für viele Menschen hier in Deutschland ist Demokratie eine Selbstverständlichkeit. Ein Leben in Würde und Sicherheit, inklusive Meinungsfreiheit, Wahlmöglichkeiten und Teilhabechancen erscheint alltäglich. Doch die Corona-Pandemie zeigt sich als große Belastungsprobe für unsere Gesellschaft: Sichtweisen und Meinungen stehen sich unvereinbar gegenüber, vernünftige Auseinandersetzungen scheinen unmöglich. Diverse Gruppierungen nutzen diese Situation für ihre eigenen Zwecke. Querdenker*innen unterhöhlen mit ihrem Vorwurf der Bevormundung durch den Staat unsere demokratische Wertebasis. Rechtspopulist*innen und Rechtsextreme missachten mit ihrer Forderung nach einem Gesellschaftsmodell, welches Diversität und Offenheit ablehnt, die allgemeinen Menschenrechte. Dem stellen wir uns entgegen und unterstützen uns gegenseitig: Bücher können wahre Botschafter für die Demokratie sein. Sie können wachrütteln, zum Nachdenken und Hinterfragen anregen, eigene Sichtweisen erweitern und Mut machen, für unsere Demokratie einzustehen. 

Bei unserem Leseabend Würzburger*innen lesen für Demokratie: living in democracy – forever?! in der Stadtbücherei gab es viele interessante Buchentdeckungen zu machen (hier können Sie die gesamte Liste abrufen). In ihrem Grußwort unterstrich die Würzburger Sozialreferentin Dr. Hülya Düber, dass die Veranstaltungen rund um die Lange Nacht der Demokratie wunderbare Möglichkeiten für alle Menschen bieten, sich mit Demokratie zu beschäftigen: "Gerade in der Corona-Pandemie sind unterschiedliche Meinungen sichtbar geworden, die sich unvereinbar gegenüberstehen. Deshalb ist es wichtig, sich in den demokratischen Dialog zu begeben, denn dieser ist die Grundlage für ein Zusammenleben in Vielfalt und für die weitere Entwicklung der Gesellschaft."

Die Obamas, Dalai Lama, Rawls und...PUR

Molina Klingler, Vorsitzende Kreisverband Würzburg-Stadt von Bündnis 90/ Die Grünen, verknüpfte mit ihrem Beitrag Demokratie mit der Rolle der Frau. Sie wählte Textpassagen aus dem Buch „Becoming“ von Michelle Obama, weil jede Demokratie von persönlichen Geschichten lebt, die wir uns gegenseitig erzählen und so trägt jede Geschichte zur Demokratie bei. Obama mache Mut, die je ganz eigene Persönlichkeit mit eigenen Akzenten in die Gesellschaft einzubringen. Martin Heilig, Bürgermeister der Stadt Würzburg, gab einen begeisternden Einblick in John Rawls Abhandlung „Eine Theorie der Gerechtigkeit“: Da fasziniert die Idee des „Schleier des Nichtwissens“ und daran anknüpfend die Forderung, „sich in den anderen hineinzudenken“. Das Nichtwissen gibt dazu Raum, sich anderen zu öffnen, wie auch das eigene Interesse auf andere zu richten. Gerade heute erscheint es besonders wichtig, über unseren Gesellschaftsvertrag unter dem Schleier des Nichtwissens neu nachzudenken: Nach Rawls ist Ungleichheit dann gerechtfertigt, wenn sich in der Folge daraus Vorteile für alle ergeben und Talente nicht zu Privilegien führen, damit alle an der Entwicklung der Gesellschaft mitwirken können.

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Bild:Unsere Vorlesenden: Jeremias Schuler
Unsere Vorlesenden: Jeremias Schuler

Für Johannes Priesemann gibt Simone Weil viele wichtige Denkanstöße. Er trug vor aus ihren kritischen Werken: „Über die Ursachen von Freiheit und gesellschaftlicher Unterdrückung“, „Anmerkung zur generellen Abschaffung der politischen Parteien“ und „Verwurzelung“. Mit seiner Lesung aus dem vom Dalai Lama unter Mitwirkung von Sofia Stril-River verfassten Buch „Der neue Appell des Dalai Lama: Seid Rebellen des Friedens“ legt Jeremias Schuler seinen Schwerpunkt auf das Mitgefühl. Laut wissenschaftlichen Erkenntnissen ist das Mitgefühl bedeutend für die menschliche Entwicklung, Gesundheit und Glückseligkeit. Demgegenüber beschwören Ideologien und Religionen nur trennende Barrieren in der Zusammengehörigkeit der Menschen zu einer Familie. Deshalb sollte ein Zeitalter des Mitgefühls die Religionen ablösen, denn nur durch Liebe und Mitgefühl sei Existenz möglich. Zudem müsse der im 20. Jahrhundert entstandenen zerstörerischen Gesellschaft mit Altruismus unter der Prämisse „wenn man anderen etwas Gutes tut, dann tut man sich selbst etwas Gutes“ entgegengewirkt werden.

Von Träumen - und Alpträumen

Volkmar Halbleib, Mitglied des Bayerischen Landtags, fokussierte als Kulturpolitiker mit seinem Ausschnitt aus „Die Kunst der Demokratie – Die Bedeutung der Kultur für eine offene Gesellschaft“ von Carsten Brosda das Grundverhältnis von Demokratie und Kultur. Brosda sieht die Offenheit der Moderne als maßgebend für Sicherheit und Beständigkeit. Diese führe zwar zu einer irritierenden Diversität, aber durch beständigen Dialog könne individuelle Freiheit und einschränkende Regeln gemeinsam ausbalanciert werden. Für die notwendige Verständigung darüber, was uns gemeinsam ist, bedürfe es des kulturellen sozialen Austausches, der die Anerkennung von Vielfalt ermögliche. Frank Stößel stellte mit seinem Leseausschnitt aus „Ethos und Lebenswelt – Mitleidenkönnen als Maß“ von Werner Marx das Mitleidenkönnen als ein gültiges Maß für ein gutes Leben vor. Auch für diesen Vorlesenden gehören Empathie und Mitgefühl zu den Grundvoraussetzungen des demokratischen Zusammenlebens.

Das nächste vorgestellte Buch von Paul Nemitz und Matthias Pfeffer befasst sich mit einer konkreten Herausforderung der Gegenwart und Zukunft: „Prinzip Mensch – Macht, Freiheit und Demokratie im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz“. Eberhard Grötsch, Vorsitzender der Gesellschaft für Politische Bildung e. V., wählte eine Passage über die Problematik der Vernetzung von Wissenschaft und großen digitalen Unternehmen aus und animierte die Zuhörenden, sich in den wichtigen Diskurs über die Gestaltung der Digitalisierung einzumischen. Julia Rath, Ombudsrätin der Stadt Würzburg, ermöglichte mit ihrer Auswahl an Gedichten und Textpassagen von Aminata Touré aus „Wir können mehr sein“ einen wichtigen Perspektivwechsel: Es muss der Beurteilung von Menschen anhand der Merkmale, wie Hautfarbe, Geschlecht oder Alter ein Ende gesetzt werden. Dazu gilt es, auch in der Politik Zugangsbarrieren abzubauen, um allen Partizipationsmöglichkeiten zu eröffnen. Jutta Henzler, Vorsitzende AWO-Stadtverband, trug aus der Biographie „Ein verheißenes Land“ von Barack Obama vor. Henzler entschied sich für eine Passage, die Obamas Haltung gegenüber Kriegen zum Ausdruck brachte. Und eine weitere Stelle war der Vorleserin wichtig: Obamas Erkenntnis, dass im Wahlkampf das Zuhören wichtiger ist, als selbst zu reden.

Mit einem Ausschnitt aus Fatma Aydemirs Buch „Eure Heimat ist unser Albtraum“ verdeutlichte Barış Yüksel, KUlturS e.V., dass er Demokratie mit dem Gedanken an jene Menschen verbindet, die nicht wählen und partizipieren dürfen. Fatma Aydemirs Buch schildert eindrücklich, wie die Teilhabe von Gastarbeiter*innen nicht gewünscht und deren Rückkehr in die Heimat mittels Rückkehrerprämien forciert wurde. Menschen mit Migrationsgeschichte erfahren weiterhin Diskriminierung und Rassismus, was in Äußerungen gipfelt, wie "Sie nehmen uns die Arbeit weg" und zugleich: "Sie liegen uns auf der Tasche und sind faul." Sehr eindrucksvoll und bewegt las Evi Gerhard, Jugendbildungsstätte Unterfranken, den Songtext „Brüder (Stell dir vor)“ der Gruppe Pur vor. Darin wird von der Sehnsucht nach Gemeinschaft und Liebe und von Träumen und Wünschen erzählt. Als miteinander verbundene Menschen sollten alle die gleichen Chancen erhalten und Krieg sowie blinde Herzen überflüssig werden.

Demokratie benötigt Empathie und Interesse

"Lesebücher können Lebensbücher sein": Auf diesen Aufruf der Veranstalter*innen bezog sich Burkhard Hose, katholischer Hochschulpfarrer und Ombudsrat der Stadt Würzburg. "Das Schreiben ist für mich Lebensbewältigung und so schreibe ich tatsächlich Lebensbücher", sagt Hose. In seinem jüngsten Buch: „Systemrelevant. Neue Maßstäbe für unsere Gesellschaft“ stehen Erfahrungen während der Corona-Pandemie im Fokus. Das Beklatschen der vielen Pflegekräfte zu Beginn der Pandemie erinnert ihn daran, wie 2015 Menschen nach ihrer Flucht in Deutschland willkommen geheißen wurden - aber dann im Alltag mit Einsamkeit konfrontiert sind. Sein Fazit: Held*innen werden gefeiert und hochstilisiert, wenn sich Gesellschaften in der Krise befinden. Aber in einer Demokratie ist nicht Bewunderung die tragende Stütze, sondern das gesellschaftliche Engagement möglichst vieler. Eigenverantwortung und Bewusstsein für gemeinsames Handeln ist gefordert, denn jede*r einzelne ist für die Gemeinschaft wichtig.

Mit großer Neugierde und hoch konzentriert folgten die Gäste und Mitwirkenden den einzelnen Lesebeiträgen. Es war ein bewegender, vielschichtiger Gang durch Literaturbeiträge, die einmal theoretisch und dann wieder ganz lebensweltlich und biografisch aufzeigten, wie wertvoll und wie voraussetzungsvoll das demokratische Zusammenleben ist. Sicherlich nicht von ungefähr kommt es, dass viele Vorleser*innen Auszüge wählten, die Empathie und Interesse am anderen als Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie herausstellen. Dies gilt es, als Gedanken wieder in unsere Gesellschaft hineinzutragen und der gesellschaftlichen Spaltung entgegenzuwirken.

Sie möchten die Lesebeiträge nachträglich anhören? Dann schicken Sie eine Mail an info@frankenwarte.de und wir lassen Ihnen den Zugangslink zukommen. (Von Stephanie Böhm)

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