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Alle sind systemrelevant!

Bundestagskandidat*innen hörten zu bei unserer Veranstaltung mit dem Würzburger Frauenbündnis zum Internationalen Frauentag. Natürlich wurden auch politische Forderungen debattiert.

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Corona hat auch das Würzburger Frauenbündnis fest im Griff – als Beobachterinnen und Aktivistinnen: Kann es sein, dass wir unsere Gesellschaftsmitglieder in Systemrelevante (und zwangsläufig dann wohl auch in Systemirrelevante) einteilen? Und Kriterium ist ausschließlich die bezahlte Erwerbsarbeit? Und warum spricht kaum jemand darüber, dass die Folgen der Pandemie viele Frauen ganz anders treffen als Männer? Grund genug für eine Veranstaltung, in der Frauen ihre Erfahrungen austauschen konnten. Die Würzburger Bundestagskandidierenden waren zum Zuhören eingeladen. Natürlich wurden auch politische Forderungen debattiert. 

Cheerleaderin, Antragsschreiberin, Pflegerin

Lore Koerber-Becker, berufstätige Mutter von drei Kindern, erlebte zu Beginn der Pandemie eine positive Entschleunigung in der Familie. Doch spätestens seit Weihnachten 2020 sieht sie sich als Cheerleaderin: „Widersprüche aushalten, den Kindern die Situation erklären, sie zu allem motivieren müssen! Und erschreckt hat mich, dass es das Highlight des Tages meiner Tochter ist, ihre Freundinnen in der Straßenbahn treffen zu können!“ Tanja Oppel blickt als Soloselbständige voller Sorge in die Zukunft: Hilfsprogramme waren komplex und oft nicht passend, Neuaufträge werden für die Mediengestalterin rar. Ülkü Sahor arbeitet als Pflegefachkraft auf einer psychiatrischen Station. Obwohl nur noch 50 Prozent der Plätze besetzt werden können, ist die Arbeit, noch dazu in Schutzkleidung, wesentlich belastender geworden: Die Isolation ist für psychisch Kranke doppelt schwer auszuhalten. Und Sorge macht ihr die Zunahme psychischer Erkrankungen: „Das ist ein großes gesellschaftliches Problem. Wir müssen wesentlich mehr Aufklärung über psychische Erkrankungen leisten und die Menschen aus der Isolation holen!“ 

Künstlerinnen ohne Publikum

Schauspielerin und Sängerin Birgit Süß hatte am 7. März 2020 ihren letzten Auftritt. Nach zig Projektförder- und staatlichen Hilfsprogrammanträgen fühlt sie sich am Ende: „Nach all dem Dichten und Denken für Anträge frage ich mich: Kann ich das denn noch? Ich wünsche mir, dass Kulturschaffende von Politik und Gesellschaft stärker wahrgenommen werden.“ Und wie sie das noch kann, zeigte sie mit einer tiefgründigen kabarettistischen Einlage. Auch Bildhauerin Angelika Summa konnte in 2020 nur eine Ausstellung realisieren. „Wir Künstler*innen sind komplett von der Bildfläche verschwunden, aber wir sind existentiell an die öffentliche Wahrnehmung gebunden. Unser, über die Jahre erarbeitetes persönliches, empfindliches System mit Überlebens- und Einkommensstrategien ist zusammen gebrochen. Dabei hat unsere Gesellschaft Kunst und Künstler*innen bitter nötig.“ Nicole Walter, als Ergotherapeutin in einer Seniorenresidenz tätig, erzählt von leidvollen Monaten, von der Angst der Bewohner*innen, deren Isolation bis in den Tod. „Ich wünsche mir einfach mehr Zeit für sie.“ 

Die Bundestags-Kandidierenden zeigten Verständnis und erklärten, dass ihnen viele Probleme bewusst seien. Paul Lehrieder (CSU), setzt auf ein Pflegereformgesetz nach der Wahl. Freya Altenhöner (SPD) sieht im Modell der 30-Stunden-Woche eine Lösung, um Care-Arbeit geschlechtergerecht aufzuteilen. Dass viele der aufgezeigten Probleme nicht angegangen würden, liegt für Simone Barrientos (Die Linke) auch daran, dass Frauen im Bundestag unterrepräsentiert sind. „Es ist so gut, dass heute so viele Frauen zusammengekommen sind.“ Auch nach Ansicht von Sebastian Hansen (Die Grünen) trifft die Pandemie Frauen stärker als Männer, was auch an alten Rollenbildern läge. Für Andrew Ullman (FDP) muss das System dringend widerstandsfähiger gemacht werden.

Was ist nun zu tun?

Auch nach der Pandemie werden die Probleme nicht verschwinden. Deshalb fordern wir:

  • Es geht nicht um „Systemrelevanz“, sondern um Demokratie- und Gesellschaftsrelevanz 
  • Frauenquoten und ein Paritätengesetz, um mehr Frauen für Politik zu gewinnen
  • Unsere Gesellschaft braucht Visionen und somit Kunst von Künstlerinnen, die nicht den Klischees entsprechen. Künstlerinnen müssen durch Medien sichtbar gemacht werden.
  • Steuerpolitik muss für gerechten Ausgleich in der Gesellschaft sorgen
  • Kinderbetreuung und Beschulung brauchen einen höheren Stellenwert
  • Traditionelle Rollenbilder sind aufzubrechen
  • Politische Rahmenbedingungen müssen die wirtschaftliche Eigenständigkeit von Frauen fördern   

Weil längst nicht alles gesagt werden konnte, was zum Thema „Corona und Frau“ wichtig ist, werden wir im Herbst erneut zu einem Online-Gespräch zusammen kommen.

Dem Würzburger Frauenbündnis zum Internationalen Frauentag gehören an: Akademie Frankenwarte, Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen Würzburg AsF Stadt und Land, Arbeitsgemeinschaft Würzburger Frauen und Frauenorganisationen AWF, DGB Kreisverband Würzburg, Die Linke Würzburg Team Frauen, Frauen bei Bündnis 90/Die Grünen, Gleichstellungsstellen Stadt Würzburg und Landkreis Würzburg, GEW, IG Metall, Katholische Arbeitnehmerbewegung Würzburg KAB, vdk Kreisverband Würzburg, verdi-Frauen
 

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