Narrative werden akzeptiert, genutzt und haben Bedeutung für Viele. Sie enthalten Versprechen, Aussichten und Warnungen. Deutlich wurde bei unseren Diskussionen sehr schnell: Das alte Narrativ vom europäischen Frieden genügt nicht mehr, um breite Teile der europäischen Bevölkerung vom Nutzen der EU zu überzeugen. Denn: „Es gibt nicht das Eine Narrativ von Europa, es gibt mehrere, zumeist nationalstaatlichen Ursprungs. Und diese konkurrieren miteinander“, erläuterte unser Seminarleiter Daniel Roth.
Wandel als KonstanteDazu kommt, dass sich Narrative wandeln, sie werden immer wieder von neuen Generationen von Narrativen abgelöst – so wie sich eben neue Generationen von Erzähler*innen ablösen. Haben unsere Eltern und Großeltern nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges von wirtschaftlichem Wohlstand, funktionsfähigen Demokratien und stabilen internationalen Partnerschaften nur träumen können, so sind ein gemeinsamer Wirtschaftsraum, supranationale Institutionen und eine enge politische Bindung an die Nachbarstaaten in Europa heute selbstverständlich. Zumindest in Deutschland oder in Frankreich. Dort postuliert beispielsweise Präsident Macron das neue Narrativ einer souveränen Europäischen Union, in der die großen Themen der Zeit (von der Sicherheit über Digitalisierung bis zur Bekämpfung des Klimawandels) tatsächlich gemeinsam angepackt werden. Hintergründe französischer Europapolitik erläuterte Gisela Müller-Brandeck-Bocquet, Inhaberin des Jean-Monnet-Lehrstuhls für Europaforschung und Internationale Beziehungen der Universität Würzburg. Und Daniel Roth zeigte am Beispiel der Länder Skandinaviens, dass die Beziehungen zur Europäischen Union an deren nördlichem Rand geprägt sind von deutlich mehr Pragmatismus und Skepsis gegenüber einer immer stärkeren europäischen Integration.
Europa? Es geht noch größer„Wir haben in Deutschland miterlebt, wie aus vielen Kleinstaaten nach vielen Umbrüchen letztlich eine demokratische Nation wurde. Vielleicht tun wir uns deshalb mit der übergeordneten europäischen Ebene vergleichsweise leicht“, meinten auch unsere Teilnehmenden, und gingen teils noch mehrere Schritte weiter: „Wir müssen doch noch weiter denken, uns als Weltbürger*innen verstehen – denn alles hängt mit allem zusammen.“ Die gemeinsame und zum Teil auch trennende Geschichte sollte immer als Basis des europäischen Narrativs dienen.
Eine Videoschalte mit Carolin Rüger vom Jean-Monnet-Lehrstuhl für Europaforschung und Internationale Beziehungen mit dem Titel „EU – wozu? Welche Rolle Europa in unserem Leben spielt“ sowie eine Stadtführung zum Thema „Würzburg – Im Herzen europäisch“ rundeten einen gelungenen Bildungsurlaub ab.
Sebastian Haas